Begegnung mit dem Ungewissen
Die Krise, die wir gerade durchleben, fragt nach unserem Vertrauen. Im Umgang mit Medien und Informationen sind wir zu einem bewussten Umgang mit unserem Vertrauen aufgefordert. Aber auch in existenzieller Hinsicht stellt sich die Frage nach dem Vertrauen in unsere Menschlichkeit und die regenerative Kraft des Lebens heute besonders eindringlich. Wo finden wir dieses Vertrauen und wie leben wir es?
Die gegenwärtige Corona-Krise bewegt uns alle. Aber wohin? Eine Vielzahl von Informationen, Nachrichten und widerstreitenden Sichtweisen überflutet uns. Dabei erlebe ich in mir und vielen anderen Menschen, dass uns das Virus auch vor eine Vertrauensfrage stellt. Egal welcher Nachrichtenquelle wir glauben, welcher Argumentation wir folgen, wir stehen immer wieder vor der Frage, wem wir vertrauen. Denn wir alle leben in einer ständigen Ungewissheit. Was heute als gesicherte Erkenntnis gilt, kann morgen schon wieder in Zweifel stehen. In diesem Prozess brauchen wir zunächst das Vertrauen in unsere eigene und gemeinsam dialogische Erkenntniskraft, denn echtes Vertrauen ist keine Unmündigkeit. Ein mündiges Vertrauen ist gefragt, in dem wir uns unsere eigene Meinung bilden, prüfen und hinterfragen, in dem Wissen, dass sie unvollständig und auch vorübergehend sein kann. Die Suche nach der Wahrheit, so erfahren wir, ist kein vorrausehbarer ebener Weg, sondern lebt aus dem immer wieder neuen Antworten auf neue Ergebnisse und Erkenntnisse. Selbst die Experten wissen (noch) nicht, was passieren wird, wie sich Corona ausbreiten wird, wie gefährlich das Virus wirklich ist, welches letztlich die richtigen Maßnahmen sind, welche Einschränkungen übertrieben sind, ob die destruktiven Folgen des Lockdowns größer sein werden als die Folgen des Virus oder ob die Einschränkungen unserer Freiheit überzogen sind. Antworten auf diese Fragen werden das Forschen und die Zeit bringen – Zeit, die wir nicht haben. Auch unter diesen Experten gibt es verschiedene Einschätzungen der Situation. Wir müssen mit vielen Wissenslücken arbeiten, und daran, sie zu schließen, weil das Virus neu ist und noch wenig erforscht. Gleichzeitig müssen wir schnell handeln und können nicht einfach abwarten, bis wir gesicherte Erkenntnisse haben.
Als Gesellschaft stehen wir damit aber in einer vielleicht nie da gewesenen Ungewissheit. Einer Ungewissheit, die bei Krisen immer im Raum steht. Bei der Klimakrise haben wir sie bisher nur gut genug verdrängt: Denn niemand kann genau wissen oder vorhersehen, wie sich die Klimaveränderungen auswirken werden. Wir arbeiten mit Szenarien, Vorhersagen, Berechnungen. Immer, wenn wir mit komplexen Geschehnissen konfrontiert sind, versagen die Sicherheiten des eindeutigen Wissens. Aus der Corona-Krise könnten wir lernen, dass wir auch in der Klimakrise wirksam handeln können, selbst wenn wir nicht in allen Einzelheiten wissen, wie er sich auswirken wird. Auch hier täten wir gut daran, die schlimmsten begründeten Szenarien zumindest ernst zu nehmen und unser Handeln auch davon leiten zu lassen.
Solch ein Zustand der Ungewissheit, in dem sich Wissen erst langsam zeigen kann, gesucht und erforscht werden muss, wir gleichzeig aber handeln müssen, fordert uns heraus. Denn Handeln bedeutet für uns oft, einen klaren Plan zu haben, Voraussagen treffen zu können, die Kontrolle zu behalten. Wir lernen aber nun, wie wichtig auch das Innehalten und die Besonnenheit ist, und ein Handeln nach bestem Wissen, im wachen Diskurs, aber ohne letztendliche Gewissheit. Aber solch ein Handeln beruht auch auf dem Vertrauen, dass es möglich ist, immer wieder neu zu einem Wissen zu finden, dass uns handlungsfähig macht. Als Gesellschaft ist das ein Prozess, der auf einem freien Diskurs beruht, dessen Grundlage wiederum das Vertrauen ist, dass wir gemeinsam den bestmöglichen Weg finden wollen – auch wenn sich unsere Ansicht darüber, was dieser Weg ist, manchmal drastisch unterscheidet.
In Ungewissheit handeln
In solch einer Lücke der Ungewissheit haben Erklärungen der Eindeutigkeit Konjunktur. Sie zeigen sich sowohl bei Wissenschaftlern, die vorgeben, mehr zu wissen, als es durch Daten gedeckt ist, oder aber in der Vielzahl der alternativen Sichtweisen und falschen, unvollständigen oder manipulativen Behauptungen. Ihnen allen ist eines gemein: Sie wissen (ganz genau).
Sind wir als Kultur überhaupt in der Lage, diesen Zustand einer suchenden Ungewissheit zu tragen? In einer Situation, in der wir sofort handeln müssen? Auch in mir selbst spüre ich diesen Wunsch, zu wissen, um endlich eine Art existenzielle Entlastung zu erfahren. Aber das Herausfordernde an dieser Krise ist, dass es schier unmöglich ist. Die Komplexität der Situation und der Lebenssysteme, in denen all das stattfindet, von den ökologischen über die sozialen bis hin zu den psychologischen Zusammenhängen, bleibt in der Gänze für einen Einzelnen wohl unüberschaubar. Die Vielzahl und Widersprüchlichkeit der Informationen und die Vehemenz der unterschiedlichen Standpunkte in der Abgrenzung gegen andere erzeugt eine seelische Spannung, die ich bei mir und vielen Menschen spüre. Hinzukommen die Bilder und Berichte von sterbenden Menschen, überfüllten Kliniken und überforderten Pflegekräften und Ärzten.
Inmitten dieser vielen Einflüsse, die auf uns einströmen, wird die Frage des Vertrauens virulent. Wem vertraue ich? Welchen Nachrichten und Informationen? Welchen Quellen? Welchen Experten? Welchen Freunden? Oder die gleiche Frage andersherum gestellt: Wem misstraue ich? Und wie misstraue ich.
Bei den vielen verschwörungsvollen oder ungesicherten Behauptungen fällt mir vor allem auf, wie sehr sie Misstrauen säen oder aus einem Misstrauen kommen. Misstrauen gegenüber der Regierung, der Wissenschaft, etablierten Instituten, Konzernen, Medien, Politikern usw. Oft scheint mir, dass dieses Misstrauen mit dieser Krise selbst weniger zu tun hat als mit einer schon bestehenden Haltung des Misstrauens, die nun sichtbar wird. Dann scheint es oft so, dass Menschen den Informationen Vertrauen schenken, die mit dem, was sie schon zu wissen glauben, übereinstimmen, und sich nicht mehr die Mühe machen, sie zu prüfen.
Mir macht das Sorgen, weil diese Haltung auch bei Menschen, die sich mit Spiritualität beschäftigen, recht verbreitet ist. Ich frage mich, hat hier die Kritik an der Ratio und dem klaren Verstehenwollen und die Suche nach Erfahrungsräumen jenseits des rationalen Denkens dazu geführt, dass die gesunde und heilsame Wirkung des rationalen Erkennens vernachlässigt oder nicht wertgeschätzt wird? Hat die Suche nach trans-rationalen Erkenntnissen dazu geführt, dass auch irr-rationalen Ideen viel Raum gegeben wird und manchmal beides einfach verwechselt oder gleichgesetzt wird?
Destruktives Misstrauen
Mich besorgt das, weil gerade in solch einer Krise eine aufgeklärte Spiritualität so not-wendig wäre. Aber scheinbar hat die Beschäftigung mit alternativen Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit, wie sie spirituelle Lehren oder Erfahrungen aufzeigen können, auch das Tor für „alternative Fakten“ weit geöffnet. In der New-Age-Spiritualität kommt noch eine narzisstische Komponente hinzu, die durch die Lehre einer Art spirituellen Wunscherfüllung propagiert wird. Im Extrem können dann Menschen nicht mehr klar zwischen der Einbildung auch geistiger Welten und realen Erfahrungen unterscheiden. Und natürlich ist das auch in solchen subtilen Räumen nicht einfach, aber hier wäre ein gesundes Maß Misstrauen gegenüber sich selbst manchmal angebracht.
Denn Misstrauen und Zweifel an sich sind ja nicht schlecht. Sie führen uns zur Erkenntnis. Und ein Misstrauen gegenüber Politikern, Konzernen oder Wissenschaftlern kann ich gut nachvollziehen. Aber mir scheint, es gibt einen Unterschied zwischen einem konstruktiven Misstrauen, das Informationen und Meinungen prüft, erforscht und hinterfragt, und einem destruktiven Misstrauen, dem es vor allem darum geht, eine bestimmte Ideologie oder Agenda zu verbreiten. Ein destruktives Misstrauen arbeitet immer mit einem Schema von „Wir gegen die anderen“ bzw. „Die anderen gegen uns“ und den verborgenen Machenschaften dieser „anderen“. Es kann dazu führen, dass ein gesellschaftliches Vertrauen, welches das Fundament jeder Demokratie ist, brüchig wird.
In den sozialen Medien und auch bei Bekannten und Freunden erstaunt mich immer wieder, wie stark dieses destruktive Misstrauen sein kann. Das geht dann soweit, dass etwas nicht stimmen kann, allein weil es von etablierten Medien verbreitet wird. Und natürlich ist gesundes, konstruktives Misstrauen gegenüber allen Medien – ob „offiziell“ oder „alternativ“ – geboten, aber solche Pauschalurteile errichten Mauern. Was mich daran besonders besorgt ist der Gleichklang solcher Ansichten mit denen populistischer Stimmen wie in der AfD, die im Grunde eine Partei des destruktiven Misstrauens ist. In diesem Sinne hört man von ihr kaum konstruktive Ideen, sondern vor allem Misstrauen schürende Angriffe auf die Demokratie, die multikulturelle Gesellschaft, die Globalisierung. Diese Atmosphäre des Misstrauens ist auch durch den Einfluss dieser Kräfte weit in die Gesellschaft vorgedrungen, und mich beunruhigt es, wenn sich so etwas wie eine populistische Spiritualität bildet, die dem Mainstream pauschal misstraut und alternativen Ansichten unhinterfragt Vertrauen schenkt. Das ist deshalb für mich so bedenklich, weil es keinen offenen Diskurs mehr ermöglicht. Oft genug spüre ich bei Menschen, die sich in solch einem Misstrauen verfangen, das manchmal auch paranoide Züge haben kann, dass es keinen Raum mehr für eine rationale Argumentation, für ein offenes Zuhören und ein gemeinsames Forschen nach der Wahrheit gibt. All das sind aber Grundqualitäten eines echten Gespräches und auch einer demokratischen Gesellschaft.
Alternativer Mainstream
Mittlerweile hat sich aber eine alternativ-faktische Szene gebildet, in der es zum guten Ton gehört, den offiziellen Medien zu misstrauen und Alternativmedien wie Rubikon oder KenFM und Leitfiguren wie Daniele Ganser ein oftmals blindes Vertrauen zu schenken. Bei einem Vortrag von Ganser, in dem er seine alternative Deutung der Ereignisse des 11. September mit lebenspraktischem und spirituellem Rat zu Achtsamkeit verbindet, konnte ich diese Dynamik beobachten. Unter den Besuchern gab es eine Art alternativen Mainstream, denn auf Anfrage per Handzeichen gaben fast alle Zuhörenden kund, dass sie keine offiziellen Medien nutzen. Und Ganser quittierte diese Umfrage mit einem wissenden und bestätigenden Lächeln und dem Hinweis auf die Portale, die auch seine Texte veröffentlichen. Aber die Zuhörer des Vortrags gingen mit den Informationen Gansers genauso um, wie sie es anderen im Umgang mit den offiziellen Medien vorwerfen: Sie glauben ihm, sie vertrauen ihm. Nur die wenigsten werden seine Darstellungen einer eingehenden Prüfung unterziehen und andere Erklärungen bemühen, um sich ein Bild zu machen.
Auch für mich waren einige Gedanken und Hinweise Gansers berechtigt und interessant, wenn mir auch sein für mich manipulativer Stil nicht gefiel. Und bei Gesprächen merke ich, dass ich auch keine Mauern von der anderen Seite errichten möchte und pauschal mit dem Totschlagargument Verschwörungstheorie antworte. Denn zunächst spreche ich ja immer mit einem Menschen mit Sorgen, Ängsten und dem Versuch, in einer komplexen Welt, die gerade noch viel komplexer geworden ist, Sinn, Halt, Orientierung und Vertrauen zu finden.
Und, wie gesagt, Misstrauen ist berechtigt, und auch die etablierte Naturwissenschaft ist gut darin, ein unhinterfragtes Vertrauen zu forcieren. Sie hat sich als das alleingültige Erklärungsmodell positioniert und andere Verständnisformen des Kosmos schnell als irrrational oder unwissenschaftlich benannt. Es braucht auch von dieser Seite konstruktive Selbstkritik und eine Öffnung des Diskurses, damit auch Erklärungsweisen unseres Seins, die über materialistische und mechanistische Annahmen hinausgehen, mit einbezogen werden. Ein Diskurs, in dem auch das Unverfügbare, Unerklärbare und das Geheimnis unseres Seins einen Erkenntnisraum findet. Damit Menschen, deren Erfahrung oder Erkenntnis eine andere Sicht des Daseins nahelegen, ernst genommen werden, und solchen Anliegen nicht nur in einer alternativen Subkultur von Spiritualität und New Age nachgehen können. Die Frage, wer wir als Menschen sind und was unsere grundlegenden Daseinswerte sind, wird durch die gegenwärtige Krise wieder in den Mittelpunkt gerückt. Und diese Fragen können wir nicht allein durch materialistische Erwägungen beantworten. Diese Zeit ruft auch nach der Wiederkehr des Seelischen und Spirituellen in die Mitte der Gesellschaft als Orientierungspunkte für Politik, Ethik und Wirtschaft.
Lernen aus der Krise
Diese Krise ist für uns alle eine Erschütterung des Vertrauens und unser Umgang mit ihr eine Vertrauensfrage. Das bezieht sich wie schon beschrieben auf den Umgang mit Informationen, aber auch auf unser Vertrauen in uns selbst, in die Güte des Lebens, in die visionäre Kraft des Geistes, die Empathiefähigkeit des Menschen, die Möglichkeit eines Lernens aus dieser Krise oder gar eine Transformation unseres Bewusstseins und unserer Lebensführung hin zu einer achtsameren, nachhaltigeren Gesellschaft.
Aber auch hier: Wie wissen es nicht. Und jetzt schon die große Transformation auszurufen, ist ein Schritt über das Aushalten der Ungewissheit hinaus, der vielleicht auch das wahre Potenzial eben dieser Transformation verengt. Genauso gut könnte es die große Regression oder Wiederbelebung des Status quo geben, mit einem Kapitalismus und Konsum, die nun erst recht auf Turbo schalten und die Klimakrise übertönen. Wir wissen es nicht, aber wichtig ist es für mich, dass wir gemeinsam den Raum des Vertrauens offenhalten, dass diese Krise die Möglichkeit des Wandels innewohnt. Und es liegt an uns, diesen Wandel zu gestalten aus einem Vertrauen in unsere eigene Wirkmächtigkeit. Denn diese Krise zeigt uns auch, zu welchen radikalen Veränderungen wir fähig sind, wenn wir sie als dringend und not-wendig empfinden.
Und immer mehr kommt es mir so vor, dass sich unsere Welt dadurch schon so verändert hat, dass es keinen Weg zurück in die Normalität gibt. Aber welche Normalität? Die des Klimawandels, Artensterbens, von Millionen Flüchtlingen und verhungernden Kindern? Vielleicht wachen wir dazu auf, dass unsere Normalität nie eine war und das wir uns als Gesellschaft in ein falsches Vertrauen gewiegt haben, in die Macht der Märkte und eine Wirtschaft, die uns grenzenloses Wachstum und Erfüllung aller Wünsche verspricht.
Aber auch die je eigene Normalität des Lebens und der eigenen Identität wird brüchig. Mit dem erzwungenen Stillstand, der wegfallenden Arbeit, der Zeit zuhause und dem Einschränken persönlicher Kontakte sind wir alle herausgefordert. Für viele öffnet sich hier auch ein Weg nach innen, zu der Frage nach dem, was eigentlich wesentlich ist im eigenen Leben. Einen Weg in die Tiefe des eigenen Selbst zu finden, in ein Gewahrsein, das tiefer ist als die Flut der Informationen und Gedanken und Gefühle, wird zu einer dringenden Kulturtechnik. Und das Vertrauen in die Geborgenheit und Weisheit eines uns innewohnenden Wesens wird zu einer Kraftquelle in stürmischen Zeiten. Hier liegt auch eine Aufgabe einer gelebten Bewusstseinskultur, denn die wirtschaftlichen, psychologischen und sozialen Folgen dieser Krise führen viele Menschen in existenzielle Not und zur Frage nach tieferen inneren Ressourcen.
Für mich ist diese Zeit auch deshalb so besonders, weil sie die Qualitäten einer spirituellen Praxis so stark anfragt. Wie tief ist meine Verwurzelung in einem Sein, das aus der Quelle des Lebens schöpft und mich geborgen sein lässt angesichts der Angst und der existenziellen Sorgen? Wie tief ist meine Gelassenheit? Wie weit reicht mein Mitgefühl? Wie solidarisch bin ich? Wie viel Halt kann ich anderen Menschen geben? Und wie klar sehe ich die Möglichkeit für Transformation? Und was tue ich dafür? Als jemand, der schon viele Jahre meditiert und einen spirituellen Weg geht, ist dies auch die Zeit der ehrlichen Selbstbefragung und der Offenheit für die wandelnde Kraft einer solchen Herausforderung, die wir gerade durchleben.
Resonanzräume
Diese Herausforderung übersteigt uns als Einzelne. Es ist auch eine Wirkung dieser Krise, dass wir uns unserer Verbundenheit und gegenseitigen Beeinflussung neu gewahr werden. Wie sehr wir jetzt davon abhängig sind, dass andere Menschen grundlegende Arbeiten zur Behandlung und Pflege der Betroffenen übernehmen und uns mit Lebensmitteln versorgen. Die Gesten der Dankbarkeit und Solidarität wie Musik auf den Balkonen oder Gabenzäune für Bedürftige gehören zu den berührenden Bildern dieser Zeit. Sie zeigen uns auch: Vertrauen beruht auf Verbundenheit und Verbundenheit erwächst aus Vertrauen. Zudem fordert die Übertragbarkeit des Virus von uns auch die Verantwortung und das gegenseitige Vertrauen, dass wir einander nicht unnötig gefährden.
Dieses Bewusstsein für unsere Verbundenheit könnte eine der Lehren dieser Krise sein. Ich spüre auch, dass die Beschränkung auf viele virtuelle Begegnungsmöglichkeiten auch das Gewahrsein dafür schärfen kann, wie wir diese Verbundenheit wahrnehmen und gestalten können. Deshalb sind für mich gerade jetzt auch Formen des Austauschs und Dialoges so wichtig, die über die Diskussion über das richtige Wissen hinausgehen – so wichtig diese Diskussionen natürlich sind, denn es gibt auch ein „billiges Nichtwissen“, das daher kommt, dass ich gar nicht mehr wissen möchte, was die Wahrheit ist, auch wenn ich sie wohl nie ganz erfassen werde.
Es gibt aber auch ein Nichtwissen, dass der grundlegenden Unsicherheit, Ungewissheit und Unplanbarkeit unseres Lebens gerecht wird, das die Grenzen unseres Verstehens demütig erkennt, und das vor allem einen Raum schafft, in dem das Leben in all seiner manchmal widersprüchlichen aber auch schöpferischen Intensität gegenwärtig sein kann. In Dialogen, wo das gemeinsam möglich ist, erfahre ich eine tiefe Kraft der Verletzlichkeit, Berührbarkeit und Zuversicht. Wenn wir miteinander anwesend sind und unsere Ängste, Hoffnungen und unsere Präsenz eine Resonanz finden, wenn wir einander zuhören und unser gemeinsames Menschsein spüren, öffnet sich immer wieder ein Raum im Dazwischen, in dem sich die Kraft des Lebens selbst in ihrer Unverfügbarkeit, Unberechenbarkeit und Möglichkeitskraft zeigt. Nicht unbedingt als konkrete Lösung, aber als eine Quelle der Zuversicht und des Vertrauens in die schöpferische, regenerative Dynamik des Lebens.
Neugeburt
Eine Kraft, die wir gerade auch in der frühlingshaften Natur spüren. Wir alle machen ja diese merkwürdige Erfahrung, dass wir in diesen Zeiten der Krise den alljährlichen Aufbruch des Lebens spüren, wie er sich im Grün, in den Blüten, den Vögeln so berauschend zeigt. Dabei spüre ich immer wieder auch, dass etwas nicht stimmt, wenn es wie jetzt lange Zeit nicht regnet. Es lässt die größere ökologische Krise gewahr werden, auf die wir noch zu antworten haben. Aber doch und mitten darin ereignet sich die Neugeburt des Frühlings, in der spürbar wird, was Lebenskraft vermag.
Gleichzeitig tritt uns mit dieser Corona-Krise auch unsere Vergänglichkeit und Verletzlichkeit intensiv ins Bewusstsein, die wir in unserer Kultur so effektiv verdrängen. Die Angst vor dem Virus ist eine Angst vor dem Tod, eine Angst, mit der wir in unserer Gesellschaft nicht gelernt haben umzugehen und die wir kaum hinterfragen. Die Intensität der Diskussion und der Maßnahmen haben auch mit dieser Angst zu tun, und ein besonnener Umgang mit dem Sterben gibt auch Raum für einen besonnenen Umgang mit der Bedrohung des Virus jenseits von Verharmlosung und Panik. Auch der Tod ist letztlich eine Vertrauensfrage, er konfrontiert uns mit der Ungewissheit schlechthin. Wir wissen nicht, wohin wir gehen, in welchen Horizont uns dieses endliche Leben hinein entlässt. Der Tod legt für uns offen, wie sehr wir unserem Dasein vertrauen, wie sehr wir uns von einem Leben, das auch den Tod umfasst, getragen und geborgen fühlen.
Hinzukommt, dass wir in der Osterzeit sind, dem Fest von Sterben und Wiedergeburt, des Wandels, der aus der Konfrontation mit dem Dunkel ersteht. Wir als Menschen und wir als Kultur durchlaufen gerade solch einen österlichen Prozess. Wie kann ich dem Sterben, das geschieht, mit Fürsorge und Wachheit begegnen? Und den Menschen beistehen, die diese Krise in ein Dunkel stürzt? Was in meinem eigenen Leben will sterben und Raum machen für neue Geburten? Und welche Verhältnisse und Lebenswirklichkeiten unserer Kultur sind verbraucht und können losgelassen werden, um als Menschen gemeinsam neu zu werden. Diese Fragen sind für mich in dieser Zeit besonders dringlich und wertvoll. Sie können uns einen Weg aus der Krise, durch die Krise weisen, ohne sie „schönzuhoffen“.
Denn was auch immer kommen mag, es wird anders sein, als wir wissen können. Angefragt sind wir in unserem Vertrauen in uns selbst, in unser verbundenes Menschsein, in unsere Gestaltungskraft und in das unergründliche Geheimnis des Lebens selbst, das uns immer überrascht und überwältigt.