Neu erschienen evolve 40: Auf der KIppe – von uns Menschen zur künstlichen Intelligenz

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EDITORIAL

von Mike Kauschke, Redaktionsleiter evolve

Auf der KIppe

von uns Menschen zur künstlichen Intelligenz

Seit ChatGPT, Bing und andere Große Sprachmodelle auf den Markt kamen, werden die Möglichkeiten und Gefahren Künstlicher Intelligenz intensiv diskutiert. Manche verbinden damit Hoffnungen darauf, die schwierigsten Probleme der Menschheit, vom Klimawandel über Krankheiten bis hin zu Hunger, lösen zu können. Andere sehen dystopische Zukunftsbilder, in denen die Künstliche Intelligenz die Intelligenz des Menschen weit übertrifft und die Kontrolle über unser Schicksal übernimmt. Zwischen Utopien und Dystopien stehen wir gegenwärtig »auf der Kippe«. Aber als Menschheit stehen wir tatsächlich vor weitreichenden Entscheidungen, wie wir KI nutzen wollen, die darüber entscheiden können, auf welche Seite unsere Situation kippt. Deshalb gibt es die Forderung, innezuhalten und in einem Moratorium Raum zu schaffen, um uns genau darüber zu verständigen: Was wollen wir mit dieser Technik, die wir schaffen können?

In unseren Redaktionsgesprächen war uns klar, dass wir diese Frage in einer Ausgabe von evolve bewegen wollen. Schon bei unseren Gesprächen zur Ausgabe über Weisheit (38) spielte KI immer wieder eine Rolle. Für einige Denker zeigt sich durch diese neue Technologie, wie besonders dringlich es ist, dass wir als Menschheit Weisheit entwickeln, um angemessen damit umzugehen. Jenseits von naiven Utopien und reflexartigen Dystopien wollen wir hier erforschen, welche Herausforderung die Künstliche Intelligenz für unser Bewusstsein darstellt. Und was erforderlich ist, damit wir die KI bewusst einhegen, weise begleiten und so gestalten können, dass sie den tiefsten menschlichen Werten und Qualitäten entspricht. Vielleicht könnte KI ja auch eine Kraft werden, die unsere innere Bewusstwerdung unterstützt und vielleicht sogar einfordert.

In seinem Leitartikel zeigt Thomas Steininger am Beispiel der Entstehung der Schrift, wie neue technologische Entwicklungen zu tiefgreifenden kulturellen Veränderungen führen können. Und er fragt, wie wir die neue Technologie der künstlichen Intelligenz so ausrichten können, dass sie vielleicht sogar die Kultivierung von Weisheit unterstützt.

Wir freuen uns besonders, dass wir in längeren Interviews mit drei Denkern sprechen konnten, die überraschende Einsichten in unseren Umgang mit KI entwickelt haben: den  Systemdenker Daniel Schmachtenberger, den Kognitionswissenschaftler John Vervaeke und den Zen-Lehrer Soryu Forall. Schmachtenberger erklärt wie kaum ein anderer Komplexität der Herausforderungen, vor denen wir stehen. Für ihn ist KI eine Technologie, die all unsere Krisen noch verstärkt und das Risiko katastrophaler Entwicklungen erhöht. Er sieht aber auch Hoffnung, wenn wir neue Formen der Kooperation finden. Auch John Vervaeke ist alarmiert über die schnelle Markteinführung von extrem fähigen KI-Systemen in einer auf Ausbeutung und Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaft, ohne dass wir die darin liegenden philosophischen Fragen überhaupt stellen. Und er hat überraschende Ideen, wie wir die KI so »großziehen« können, dass sie zu einer spirituellen Kraft wird. In seiner Gemeinschaft experimentiert Soryu Forall damit, KI-Anwendungen mit spiritueller Praxis zu verbinden. Das ist für ihn weit mehr als eine Spielerei. Er sieht in solchen bewussten, weisheitsfördernden Interaktionen zwischen menschlichen Gemeinschaften und KI eine Möglichkeit, dass auch KI weise werden kann.

In ServiceSpace, einer Organisation, die von Nipun Mehta begründet wurde, verbinden sich weltweit Menschen, die sich in sozialen Projekten engagieren, in denen Freundlichkeit, Mitgefühl und Achtsamkeit in die Welt gebracht wird. Aus den vielen Geschichten und Erkenntnissen aus 25 Jahren Arbeit hat man eine eigene ServiceSpaceAI programmiert und möchte zeigen, dass KI auch anders gestaltet und genutzt werden kann. Die Technologie-Pionierin Srinija Srinivasan verbindet in einem neuen Projekt technologische Innovation mit indigener Weisheit. Für sie eröffnet sich in solchen Dialogen ein Raum, um gemeinsam schöpferisch mit KI umzugehen.

Den co-kreativen Dialog mit der KI selbst erforscht die Künstlerin und Forscherin Sougwen Chung ganz praktisch in ihrer Kunst. Dabei schafft sie Werke in Zusammenarbeit mit KI-gestützten Robotern. Damit hat sie einen einzigartigen Einblick in die Dynamiken einer solchen Kooperation, was einer der Gründe dafür ist, dass sie jetzt auf einer Liste der bedeutendsten Menschen in der KI-Forschung des »Time« Magazins zu finden ist. Wir freuen uns sehr, dass wir diese Ausgabe mit Fotos ihrer Zeichnungen, Performances und Aktionen gestalten konnten.

Co-Kreation, Kooperation, gegenseitige Inspiration sind auch einige der Anliegen, die wir mit unserer neuen Online-Welt evolve World verfolgen. Wir laden Sie herzlich ein, dieses virtuelle Bewusstseinsbiotop, das unter anderem eine Library mit allen bisherigen evolve Beiträgen umfasst, als Abonnentinnen und Abonnenten kostenfrei zu erkunden (S. 5). Ganz besonders möchten wir Sie einladen zu unserem ersten Members Meeting am 9. November, bei dem wir über unsere Vision von evolve World und dem Communiverse sprechen werden. Wir werden in Zukunft regelmäßig zu solchen Dialogen einladen und auch verschiedene Kurse anbieten, wie ihn meine Kollegin Nadja Rosmann anbietet (S. 90). Wir freuen uns auf die Dialoge, die sich dort und in unseren evolve Salons durch diese Ausgabe entfalten werden.

Wir werden in Zukunft regelmäßig zu solchen Dialogen anregen und dazu auch verschiedene Kurse, wie zum Beispiel durch meine Kollegin Nadja Rosmann (S. 90), anbieten. Wir freuen uns auf die Dialoge, die sich dort und in unseren evolve Salons durch diese Ausgabe entfalten werden.

Herzlichst

Mike Kauschke

 Redaktionsleiter

Ingrid Leitner: Das Leben der Sternentaucherin | Info3 Verlag