Neu erschienen evolve 44: Gemeinsame Gegenwärtigkeit – Ein notwendiges Bewusstsein

Gemeinsame Gegenwärtigkeit: Ein notwendiges Bewusstsein

Die Krise unserer Zeit beruhen auf die eine oder andere Weise auf unserer Trennung von der lebendigen Welt zwischen und um uns. Gleichzeitigzeigt sich heute eine mögliche Transformation unseres Gewahrseins, hin zu einer gemeinsamen Gegenwärtigkeit, die uns Menschen miteinander und dem größeren Ganzen auf neue Weise verbindet. Wir folgen den Spuren dieses Aufbruchs undseiner Bedeutung für eine neue Bewusstseinskultur.

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EDITORIAL

von Mike Kauschke, Redaktionsleiter evolve

Vor drei Monaten kam in einer Redaktionssitzung über das mögliche Thema dieser Ausgabe ein neuer Artikel des Transformationsforschers Otto Scharmer und seiner Kollegin Eva Pomeroy zur Sprache. Darin schreiben sie über ein »Wissen der vierten Person« – eine neue, kollektive Erkenntnistheorie, die sich in ihrer Arbeit herausbildet. Wir waren von ihren Erkenntnissen beeindruckt, denn sie sind den intersubjektiven Bewusstseinsräumen, die wir als evolve-Team seit Jahrzehnten erforschen, sehr ähnlich. Das brachte uns zu der Frage: Entwickelt sich gerade ein neues kollektives Bewusstsein, das über den Hyperindividualismus der heutigen Kultur hinausgeht? Wenn ja, wo finden sich die Zeichen dieses Wandels?

Diese Überlegungen verbinden sich mit einer Grundhaltung unserer Arbeit. Jeder Aspekt unserer Erkundungen bei evolve wird von dem geleitet, was wir Emergent Interbeing nennen. Es ist der Hintergrund unserer ko-kreativen Projekte. Es ist das Bewusstsein eines lebendigen Feldes, einer gemeinsamen Präsenz, die eine Ko-­Intelligenz mit sich bringt. Dieses Feld wird durch den Dialog lebendig – was einer der Gründe dafür ist, dass der Dialog so zentral ist für den Impuls, den wir in die Kultur einbringen wollen. Unsere Frage, die wir in dieser Ausgabe erforschen, lautet: Zeigt sich hier ein neues und notwendiges Bewusstsein, das auf die Herausforderungen unserer Zeit antwortet?

In ihrem Leitartikel beschreiben ­Thomas Steininger und Elizabeth Debold die kulturelle Relevanz solcher intersubjektiven Praxisformen. Sie zeichnen den historischen Hintergrund nach und zeigen auf, welcher Bewusstseinswandel hier möglich wird. Dabei schöpfen sie aus ihrer 30-jährigen Erforschung intersubjektiver Bewusstseinsräume, die sie heute Emergent Interbeing nennen.

Wir freuen uns, dass wir mit Otto ­Scharmer über seine Forschungen mit sozialen Feldern sprechen konnten. In unserem Interview entfaltet er in einem kollegialen Austausch mit Thomas Steininger seine Einsichten dazu.

Auch der Kognitionswissenschaftler John Vervaeke forscht in gemeinschaftlich geteilten Bewusstseinsräumen, die er als »Dialogos« bezeichnet. Für ihn eröffnet sich ein unmittelbarer Zugang zum Wesen der Wirklichkeit und unseres Seins darin. Seine Erkenntnisse bettet er in die menschheitliche Suche nach einer tieferen Ganzheit ein.

Neben solchen grundlegenden philosophischen und spirituellen Reflexionen haben wir in dieser Ausgabe auch mit verschiedenen Praktikern gesprochen, die dialogische Räume erforschen. Toke ­Moeller hat »The Art of Hosting« entwickelt, die mittlerweile weite Anwendung findet. Er erfährt darin in den tiefsten Momenten eine »Magie der Mitte«. Diese geheimnisvolle Öffnung zwischen Menschen erlebt und begleitet Pamela von Sabljar in ihrer Arbeit mit Führenden und Teams in Organisationen. Ria Baeck forscht mit »Collective Presencing« ebenfalls an solchen ko-kreativen Bewusstseinsfeldern. Für meinen Artikel habe ich zudem mit ­Holger Heiten, einem Vermittler von »The Way of Council«, mit Sean Wilkinson, der das »Circling« weiterentwickelt, und mit der Gründerin des »Social Presencing Theater«, Arawana Hayashi, gesprochen.

Die Verbundenheit, die in solchen Praxisformen zugänglich wird, scheint eine indigene Perspektive neu ins Bewusstsein zu bringen. Darüber sprachen wir mit ­François Demange, der in der indigenen Pflanzenmedizin forscht und gleichzeitig gemeinsame Bewusstseinsräume erkundet.

Indigene Motive in ihrer verwobenen Lebendigkeit finden sich auch in den Bildern der Künstlerin Eva Dahn-Rubin, mit denen wir diese Ausgabe gestalten konnten. Weitere Inspirationen ihrer Kunst sind der Tanz, das Empfinden energetischer Prozesse und die Frage nach unserer Verbundenheit im größeren Ganzen des Lebens. Ihre Arbeiten empfinden wir als in Resonanz stehend mit der Erforschung des bewussten Zwischenraums der Beziehung, die im Interbeing lebendig ist.

Dieser Ausgabe liegt für alle Abonnenten ein evolve Spezial bei, das wir in Zusammenarbeit mit den Pioneers of Change gestaltet haben. Darin bringen wir Gespräche und Texte aus bisherigen Ausgaben zusammen, die regenerative Kulturen erforschen. Einige Veranstaltungen von Pioneers of Change widmen sich diesem Thema und bieten auch Möglichkeiten der dialogischen Vertiefung. Ein Aspekt solcher regenerativer Kulturen sind Erfahrungs- und Gestaltungsräume gemeinsamer Gegenwärtigkeit, die uns mit der Lebenskraft des Ganzen verbinden und zwischen uns wachrufen.

Diese Ausgabe lädt in besonderer Weise zum Dialog und zur weiteren Erforschung des schöpferischen Zwischenraums eines intersubjektiven Bewusstseins ein – diese notwendige Möglichkeit in einer krisenhaften Zeit der Trennungen. Wir freuen uns auf Ihre Reaktionen auf und Reflexionen über die Impulse, wie wir in dieser Ausgabe der evolve vielleicht geben konnten.

Herzlichst

Mike Kauschke

Redaktionsleiter

Ingrid Leitner: Das Leben der Sternentaucherin | Info3 Verlag