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Dem Leben auf den Grund gehen

Mein journalistisches Schreiben ist eng mit der redaktionellen Arbeit des Magazins evolve verbunden und hat dadurch einen ganz bestimmten Entwicklungsfaden und Erfahrungsraum erhalten. In jeder Ausgabe setzen wir uns mit einem Schwerpunkt-Thema auseinander, das wir intensiv und aus verschiedenen Perspektiven dialogisch bearbeiten. Dialogisch bedeutet für uns, dass wir Zugänge schaffen, die sich einerseits deutlich voneinander unterscheiden, die aber gleichzeitig Schnittmengen und Überlappungen bilden. Das ermöglicht eine Multiperspektivität, die einzigartige Impulse enthält, die etwas Verbindendes aufweisen. Journalismus, der sich daran orientiert, kann sich auf Gestaltungsprozesse und Gestaltungsräume beziehen, das vermeidet konfrontative Grundhaltungen und setzt spannende schöpferische Potenziale frei. Das ist ein transformativer Journalismus, der die Lesenden in neues Denken, Spüren und Erfahren einlädt.

Zu unseren letzten Themen gehörten: Klimawandel, Reife, Geld, Religion oder Heimat. Neben diesem thematischen Fokus greifen wir in jeder Ausgabe uns inspirierende Projekte, Initiativen, Künstler und Biografien auf, denen wir mehr Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit wünschen. Auf dieser Seite finden Sie einige meiner ausgewählten Artikel und Essays.

Für mich ist das journalistische Schreiben ein sich ständig vertiefender und erweiternder Dialog mit einem Thema, dem ich auf den Grund gehen kann. Dabei ist es mir wichitg, möglichst viele Blickwinkel einzubeziehen und etwas anzurühren, das noch nicht gesagt wurde oder gesagt werden will. Gleichzeitig möchte ich im Schreiben auch meine eigenen Prozesse, Fragen und Unsicherheiten offenlegen und nicht so sehr Antworten geben, als beim Lesenden ein weiteres Forschen und Vertiefen anstoßen.

Artikel | Mike Kauschke

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Geheimnisse reden zu uns

Warum die Poetisierung der Welt politisch ist

Tiefe Erfahrungen mit dem unbenennbaren Urgrund unseres Lebens werden oft mit religiösen oder spirituellen Begriffen beschrieben. Aber es gibt noch eine andere, wenn auch eng verwandte Spur, in der solche inneren Erlebnisse als die Quelle und der eigentliche Lebensraum des Poetischen verstanden werden. Und dieses Poetische kann uns vielleicht gerade heute als Lebenspraxis nicht nur persönlich, sondern auch ökologisch, sozial und politisch neue Möglichkeiten des Wahrnehmens und Handelns erschließen.

Als ich für diese Ausgabe von evolve im Rahmen unserer verschiedenen Rubriken mit unseren Interviewpartnern sprach, stellte ich am Ende meist noch die Frage, ob sie sich auch mit unserem Titelthema verbinden können, ob für sie in irgendeiner Weise das Heilige eine Rolle spielt. Ich war überrascht, dass beispielsweise die Tänzerin Kirstie Simson, der Zeichner Rafael Araujo oder der junge Lebenskünstler Pierre Lischke auf ihre eigene Weise sofort wussten, wovon ich spreche. Und mehr noch, als diese Sphäre des Erlebens zur Sprache kam, veränderten sich auch die Gesprächspartner, ihre Augen leuchteten und sie fühlten sich in etwas Essenziellen, Kostbaren angesprochen, das ihre schöpferischsten Momente betraf, in denen sie sich mit etwas Größerem verbunden und davon durchströmt fühlen. Und dadurch bekam auch das Gespräch eine besondere Atmosphäre, als würden wir uns in einem tiefen, intimen Erleben begegnen, das im Innersten aufscheint, aber gleichzeitig etwas ist, das uns alle verbindet.

Ewige Augenblicke

Interessant an diesen Gesprächen war auch, dass meine Interviewpartner sagten, dass sie solche Erfahrungen, in denen sie tiefe Lebendigkeit und einen sie übersteigenden Sinn erfuhren, nicht als »heilig« bezeichnen würden, sie aber sehr wohl so empfinden, dass sie darin eine Dimension des Mysteriums berühren. Und jeder von uns kennt wohl solche Erlebnisse, in denen wir uns von etwas Größerem angesprochen fühlen, wenn wir wie jetzt im Frühling die ersten Blumen sehen und uns im Geheimnis ihres schönen Erscheinens verlieren, oder wenn wir auf andere Weise in der Größe der Natur aufgehen, in der Majestät der Berge oder der Unendlichkeit des Meeres. Oder wenn wir ganz aus dem Inneren etwas in die Welt bringen und nicht so genau wissen, woher es kommt, sei es ein Wort, eine Idee, ein Kunstwerk oder ein nächster Schritt in unserem Leben. Oder wenn uns eine Begegnung mit einem anderen Menschen tief berührt mit der Empfindung, sich ganz tief, wie aus einer Dimension jenseits von Zeit und Raum zu kennen. Oder wenn wir ein Neugeborenes in den Armen halten oder einem Sterbenden die Hand halten und spüren, wie dieses Menschenleben in einem größeren Sein geborgen ist, und wir mit ihm. Oder wenn wir einem Tier in die Augen schauen und intuitiv wissen, dass wir Teil eines großen Lebens sind. Es ließen sich wohl noch unendlich viele solcher Erfahrungen andeuten. Und jedes Gespräch wird von diesem Klang des Geheimnisses berührt, wenn wir uns über solche kostbaren Momente austauschen oder unvermittelt gemeinsam einen solchen ewigen Augenblick erleben.
Solche Erlebnisse bringen uns in eine unmittelbare Begegnung mit dem Mysterium unseres Lebens. Was wir über die Welt zu wissen meinen, verblasst, und es öffnet sich ein unendlicher Raum der Wahrnehmung, des Staunens, der Ehrfurcht und der Verbundenheit. Solche Räume des Erlebens waren immer auch die Quelle der Poesie und einer poetischen Hinwendung zur Welt. An der Wirkung der Poesie hat mich immer fasziniert, dass sie nicht über etwas spricht – und sei es das Heilige –, sondern versucht, aus dem Mysterium selbst zu sprechen. Die Sprache so tief zu verwandeln, dass durch den Glanz der Worte selbst das Licht aufscheinen kann, das in allem wirkt. Und wenn ich ein Gedicht lese, begegne ich nicht nur den Worten und dem Dichter, der sie geschrieben hat, sondern auch dem Geheimnis, aus dem er schöpfen konnte. Das ist die dialogische Magie des Gedichts.
Aber Poesie geht doch auch weit über dieses Berührtsein beim Schreiben oder Lesen eines Gedichts hinaus, man könnte das Poetische vielleicht auch als eine existenzielle Gestimmtheit und Wandlungskraft verstehen, die gerade in unserer heutigen Zeit vielleicht besonders relevant ist.

Romantisieren der Welt

Solch ein umfassendes und transformatives Verständnis von Poesie begegnete mir zum ersten Mal bei den Dichtern und Denkern der Frühromantik, die als Alternative zum beginnenden Rationalismus und Materialismus im Zuge von Aufklärung und Französischer Revolution die Vision der »Romantisierung der Welt« ausrief. Dieses Romantisieren sollte die Erfahrungen des Geheimnisvollen, Unnennbaren und Verbindenden zur Grundlage unseres schöpferischen Umgangs mit der Welt machen: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es«, schrieb Friedrich von Hardenberg, der sich als Dichter Novalis nannte, »der Neuland Bestellende«. Das Neuland der Poesie, das die Frühromantiker vor Augen hatten, sollte die Lebens- und Erfahrungsbereiche des Menschen, die sich immer mehr zu trennen und auch zu fragmentieren begannen, neu zusammenführen: Fantasie und Verstand, Geist und Natur, Wissenschaft und Kunst, Körper und Seele, inneres Erleben und äußeres Handeln. Die frühen Romantiker waren keine Schwärmer, sie waren auch Denker, Philosophen, Wissenschaftler auf der Höhe ihrer Zeit – und ihr in vielem weit voraus. Sie waren geleitet von der Idee, dass alles Wissen oder rationales Erkennen nie getrennt sein sollte vom Geheimnis, dem Wunder des Lebens, vom Duft der blauen Blume, die Novalis als Symbol der Romantik ausrief. Sie waren auch nicht nur geniale Einzelgänger, für sie war das Ideal ein Sym-poetisieren und Sym-philosophieren, ein gemeinsames, dialogisches Poetisieren, das sie in ihrem Freundeskreis experimentell erprobten.
Dieses Dialogische in der Poesie begegnete mir auch kürzlich bei einem Dichter der Gegenwart. Als ich vor einiger Zeit an der Übersetzung eines Buches von David Whyte arbeitete, beeindruckte mich, wie er in Essays zu alltäglichen Worten im Grunde versucht, unserer ganz menschlichen Erfahrung die Tiefe des geheimnisvollen und universell Bedeutungsvollen zurückzugeben, in dem, was er »the conversational nature of reality« (das dialogische Wesen der Wirklichkeit) nennt. Für ihn ist unser Leben ein einziger, vieldimensionaler Dialog mit dem Mysterium. Und bei ihm ist dieses Geheimnisvolle kein harmlos-beglückendes Gefühl, sondern gerade auch das Erschüttert-werden von den großen, letzten Fragen des Daseins, wie Tod, Verlust, Trauer, Schmerz, Enttäuschung.
Ein poetischer Weltzugang ist auch deshalb heute so zukunftsweisend, weil wir in der Welt mit soviel Gebrochenheit zu tun haben, mit Leiden und Krisen auf unterschiedlichsten Ebenen. Und wir merken, dass eine technische, rationale Weltsicht in vielem die Ursache dieser Krisen ist und dass Lösungen aus der gleichen rationalen Dimension zu kurz greifen. Deshalb könnte eine Neuverzauberung der Welt, die uns am Wunder des Lebens mitfühlend teilhaben und daraus handeln lässt, neue Möglichkeiten aufzeigen. Gerade auch, was einen achtsam-verbundenen Umgang mit der Natur betrifft, wie ihn der Biologe Andreas Weber beschreibt: »Unsere zutiefst empfindende und ausdrucksvolle poetische Existenz entfalten wir als ein fühlender Teil eines organischen Ganzen.«
Natürlich kann das Poetische gerade in einer postmodernen, in vielerlei Hinsicht selbstbezogenen Kultur auch zu einem verdrängenden Schwärmen werden, und selbst Texte von Dichtern, die zutiefst mit der Existenz gerungen haben, wie Rainer Maria Rilke, können zu Poesiealbumtexten gemacht werden, die man mit gutem Gefühl auf Facebook teilt. Auch deshalb haben mich immer die Dichter besonders berührt, die gerade in ihrer Gebrochenheit und ihrem existenziellen Erschüttert-sein die Tiefe des Menschseins berührten und vermochten, sie zum Ausdruck zu bringen, wie Georg Trakl, Else Lasker-Schüler oder Paul Celan. In der Gebrochenheit ihrer Dichtung und ihres Lebens rührten sie immer wieder kraftvoll an das Mysterium, das sich gerade dann zeigen kann, wenn unsere individuellen verstandesmäßigen Antworten ins Leere gehen.

Im Mysterium

Aber was sind eigentlich die Qualitäten des Poetischen, die für uns heute neu relevant sein könnten? Zunächst kann man vielleicht sagen, dass das eigentliche Lebensfeld des Poetischen das Geheimnis, das Mysterium ist. Eine poetische Gestimmtheit gibt unserem eigenen Erleben Unschuld, Tiefe, Ehrfurcht und Staunen, die uns so öffnen, dass wir mit einem neuen Blick uns selbst, die Anderen und die Welt betrachten können. Dem poetischen Blick kann alles zum Mysterium werden, wie es die Dichterin Rose Ausländer in einem Gedicht beschreibt: »Die Seele der Dinge/läßt mich ahnen/die Eigenheiten/unendlicher Welten. Beklommen/such ich das Antlitz/eines jeden Dings/und finde in jedem/ein Mysterium. Geheimnisse reden zu mir/eine lebendige Sprache. Ich höre das Herz des Himmels/pochen/in meinem Herzen.«
Um in Resonanz mit diesem Mysterium gehen zu können, um sich dialogisch der unbekannten, überraschenden Tiefe eines Menschen, eines Lebewesen, eines Ereignisses, der Natur, des Kosmos zu öffnen, ist ein einfühlsames Lauschen, eine Berührtheit und Verletzlichkeit notwendig, die David Whyte als »grundlegende, allgegenwärtige und beständige Unterströmung unseres natürlichen Zustands« bezeichnet.
Diese Empfindungstiefe eröffnet auch eine weitere Qualität des Poetischen, das Schöpferische und Kreative. Denn das Poetische sagt eigentlich, dass wir als Menschen nur dort unser wahres Potenzial leben, wo wir schöpferisch werden und im Verbundensein und Ergriffenwerden von der kreativen Lebendigkeit in uns an der Lebenskraft des Ganzen teilhaben und zu ihrem Ausdruck werden.
Zum Poetischen in einem umfassenden Sinn gehört aber auch, unsere gesellschaftliche, globale und soziale Wirklichkeit in diese Kreativität einzubeziehen. Hier kommt eine Haltung der Verantwortlichkeit hinzu, ganz im Sinne des englischen Wortes response-ability, die Fähigkeit zu antworten. Denn ein wirklich poetisches Gefühl der Verbundenheit mit der Welt wird auch mein Handeln in dieser Welt verändern. In diesem Sinne ist eine Poetisierung der Welt nicht nur eine Veränderung der Gefühlslage oder eine schöne Stimmung, und es ist auch kein Abdriften in eine oberflächliche Sentimentalität, sondern bedeutet auch, mit intellektueller Klarheit die Welt und was in ihr geschieht, zu betrachten und verstehen zu wollen – das Verstandene aber auch gleichzeitig zu spüren.
So kann das Poetische auch die Grundlage eines neuen Aktivismus sein, der sich nicht so sehr an Kampf und Gegnerschaft orientiert, sondern eher aus einem »stillen Aufstand« des verbundenen und berührten Herzens, ein stilles aber entschiedenes Wirken, dort wo wir sind, in der Vernetzung mit anderen. Eine Vernetzung, die oft in das poetische Bild des Myzelliums gebracht wird, das unterirdisch weit verzweigte Pilzgeflecht, das – geheimnisvoll – an einzelnen Stellen auftaucht und neue Ausdrucksformen seiner Selbst hervorbringt.
Auf diese Weise ist das Poetische auch eine Grundlage einer Wir-Kultur, die aus der Verbundenheit, aus der Berührtheit des Lebens und der ko-kreativen Schöpfung neuer Möglichkeiten entsteht. Ein dialogischer Begegnungsraum, in dessen Mitte das Mysterium des Lebens sich zeigen kann und uns Quellen der Intuition, Weisheit und Intelligenz eröffnet, die uns allein im Individuellen und Rationalen nicht zugänglich wären.
Das Poetische in diesem Sinne ist nichts Passives, keine Abkehr von der Welt, sondern eine aktive Hinwendung zum Leben aus der Liebe zum Mysterium, das darin wirkt und uns anspricht. Die Frühromantiker sahen das Romantisieren nicht lediglich als eine Art schwärmerische Verklärung der Welt, sondern auch als einen Impuls, sie aus der Öffnung für dieses Geheimnis zu transformieren. So verstanden, ist die Dimension des Poetischen nicht nur etwas, das wir in der Tiefe der Welt finden, sondern das wir auch in die Welt schöpferisch hineinbringen.

Poetische Politik

Verletzlichkeit, Kreativität, Verantwortlichkeit, ein stiller Aktivismus und eine Offenheit für das Geheimnis des Lebens könnten Aspekte einer poetischen Kultur der Zukunft sein. Und das könnte besonders bedeutsam sein in einer Zeit, in der die Gräben zwischen Mensch und Natur und zwischen den Menschen immer größer zu werden scheinen.
Aber was soll so etwas Undeutliches wie die Poesie hier beizutragen haben? Jeder poetische Impuls beginnt zunächst mit dem Lauschen, mit dem Zuhören, dem verletzlichen Einfühlen, in dem ich mich auf das Andere oder den Anderen zumindest ein Stück weit einlasse, mich für das öffne, was mich anspricht – wozu auch manchmal das Verzweifeln am Anderssein des Anderen gehört. Immer wieder gab es politisch engagierte Menschen, die auch aus solch einer verbindenden Kraft des Poetischen schöpften, wie Václav Havel als Kritiker des Stalinismus, politischer Gefangener und später als tschechischer Staatspräsident oder Dag Hammarskjöld als UN-Generalsekretär.
Ein aktuelles Beispiel ist für mich der Autor Navid Kermani. Mich beeindruckte schon sein Buch »Ungläubiges Staunen«, in dem er sich mit einer poetischen Empathie dem Christentum und dessen Verbindungen zum Islam nähert. In seinem neuen Buch »Entlang der Gräben« schreibt er über eine Reise durch den Osten Europas, die ihn in der Begegnung mit Orten und Menschen viele seiner eigenen Überzeugungen hinterfragen lässt. Darin beschreibt er eine Szene in Schwerin, wo er mit den Mitarbeitern einer Sonntagsschule für Flüchtlinge spricht und eine Veranstaltung der AfD besucht. Und er ist berührt von der Tatsache, dass beide Seiten, mit denen er geredet hat, nicht miteinander sprechen. So werden die Gräben immer tiefer.
Es mag naiv klingen, die Hoffnung auf Brücken über diese Gräben in der Poesie zu suchen, aber ich glaube doch, dass die poetische Offenheit für die Welt und das sie überall durchwirkende Mysterium auch den Raum öffnen kann, indem es zumindest möglich sein könnte, einander zu hören. Und wer weiß, was dann möglich ist. Denn das Poetische ist auch gerade diese Offenheit für das Mögliche, Überraschende, das sich zeigen kann, wenn wir der Welt und dem Anderen neu begegnen. In diesem Zwischenraum der dialogischen Begegnung kann diese poetische Haltung zu einer Kraft der Verbundenheit und Heilung werden.
Beim Schreiben dieses Artikels kam mir die verrückte Idee, wie es denn wäre, wenn der Deutsche Bundestag jedes Jahr die ersten Sitzungen damit verbringen würde, dass jeder Abgeordnete, so wie die Interviewpartner, die ich eingangs erwähnt habe, von den kostbarsten Momenten spricht, wo sie etwas erfahren haben, das sie als geheimnisvoll, erfüllend, schöpferisch und zutiefst lebendig erlebt haben. Vielleicht würde sich überraschend Verbindendes zeigen und die tieferen Motivationen hinter der anderen Meinung klarer werden, und so auch das politische Diskutieren und Handeln poetischer werden.

Und solche poetisch-politischen Momente gibt es tatsächlich. So wie die laute Stille von Emma Gonzales. Die junge Mitorganisatorinnen des großen Marsches für strengere Waffengesetze in den USA im März stand sechs lange Minuten still vor den hunderttausend Protestierenden, präsent, aufrecht, zu Tränen gerührt. Zuvor hatte sie in einer Rede, die eher ein Gedicht war, ihrer 17 Mitschülerinnen und Mitschüler gedacht, die an ihrer Schule bei einem Amoklauf, der diese sechs Minuten gedauert hatte, ihr junges Leben verloren. Sie sprach von den flüchtigen und ganz einzigartigen Gesten, Eigenheiten und Worten, die ihr von ihren Freunden in Erinnerung geblieben sind, und dass sie diese „nie mehr“ erleben werde. Für mich und wahrscheinlich jeden, der sich diese Rede anhörte, waren die anonym gezählten Opfer plötzlich wie lebendig anwesend und gleichzeitig war ihr Verlust so unendlich spürbar. In dieser poetischen Vergegenwärtigung und der lauten Stille, die ihr folgte, lag eine Transparenz, Stärke, Verletzlichkeit und Dringlichkeit, die wohl mehr bewegt hat, als viele Worte und Argumente.

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Erschienen in evolve Ausgabe 18 / 2018: WAS IST HEUTE HEILIG? – DAS MYSTERIUM UND WIR

In jedem Atemzug die Erde

Verbunden im gemeinsamen Haus

Aktivistische Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion sind in gewissem Sinne aktuelle Heimatbewegungen. Sie rufen nach einem Bewusstsein für die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, aber auch nach neuen Formen demokratischen Gestaltens. Die modernen Weltsicht der Trennung wird dabei häufig für einen Blick der Verbundenheit geöffnet, der uns auch Heimat neu verstehen und erfahren lässt.

„Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“
Novalis

Die Bilder gehen um die Welt. Überall auf der Erde finden sich junge Menschen und zunehmend auch alle Generationen zusammen, um ein wirksames Handeln gegen den Klimawandel einzufordern. In europäischen Städten legen Aktivisten den Verkehr lahm, treffen sich an öffentlichen Plätzen zur Meditation oder zum gemeinsamen Singen und zu Bürgerversammlungen. In Berlin ist ein Camp in der Nachbarschaft des Bundeskanzleramts zu einer vorübergehenden Heimat für Aktivsten geworden, dort finden Vorträge, Konzerte, Gesprächsrunden und Workshops statt. Diese weltweiten Initiativen bilden eine globale aktivistische Bewegung. In gewisser Weise könnte man hier auch von einer neuen, globalen Heimatbewegung sprechen, die über den Gegensatz von progressiv und konservativ hinausgeht.
Der Bezug zu Heimat wird oft davon bestimmt, ob wir die Heimat als etwas Gegebenes sehen, das bewahrt werden muss, oder etwas, das wir erst schaffen müssen bzw. können, eine Utopie, eine Zukunftsvision. Die Bewegung der Fridays for Future und Extinction Rebellion und ähnlicher aktivistischer Bewegungen im Zeichen eines »subtilen Aktivismus«, von »Defend the Sacred« bis »Rebell*innen des Friedens«, scheinen diese beiden Orientierungen zu verbinden. Sie weisen auf die Heimaten hin, die bewahrt werden sollten, indem wir unseren Einfluss auf die Biosphäre so verändern, dass das Klima in einem Rahmen gehalten werden kann, der nicht unsere Lebensgrundlagen gefährdet, und der auch unseren Mitlebewesen ein Weiterleben ermöglicht. Dies ist in gewissem Sinne ein konservatives, bewahrendes Anliegen, ganz im Sinne der Bewahrung der Schöpfung. Parteien, die sich eigentlich christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen, verbinden hingegen heute eine konservative Haltung aber vor allem damit, die Wirtschaft oder Arbeitsplätze und letztlich Wählerstimmen und den Status quo »zu bewahren«.
Die ökologischen Protest- und Alternativbewegungen sind aber gleichzeitig auch progressiv in dem Sinne, dass sie von einer Utopie einer menschlichen Kultur geprägt sind, die zu einem respektvollen und mitfühlenden Umgang mit der natürlichen Mitwelt findet. Dazu gehören auch andere demokratische Prozesse und Formen des Zusammenlebens, wie sie beispielsweise bei den Bürgerversammlungen von Extinction Rebellion oder in vielen Gemeinschaftsprojekten wie dem Tempelhof oder Sulzbrunn experimentell erprobt werden. Diese Utopie zielt auch auf einen anderen Umgang mit Heimat und vor allem auch auf ein anderes Grundverständnis von Heimat.

Eine neue Geschichte

In den letzten Wochen hatte ich die Gelegenheit, einige Vordenker solch eines neuen Verständnisses von Heimat bei Veranstaltungen zu treffen: den Leiter der Schweisfurth Stiftung Franz-Theo Gottwald, den Biologen Andreas Weber und den ökologischen Vordenker Charles Eisenstein. Sie alle treten auf je eigene Weise für einen anderen Bezug zur lebendigen Welt ein. Vereinfacht zusammengefasst kann man von »einer Kultur der Verbundenheit mit der natürlichen Welt« sprechen, wie unser evolve Live Dialogtag in München mit Franz-Theo Gottwald betitelt war. Damit wird angesprochen, dass die ökologische Krise, in die wir uns manövriert haben, aus einer Bewusstseinsverfassung und einer kollektiven Geschichte der Trennung entstand. Die Wurzeln dieser Trennung liegen in der Moderne mit ihren Errungenschaften eines rationalen, getrennten individuellen Bewusstseins und einer Technik, durch die wir aus dieser Trennung von der Natur unsere Umwelt umgestalten, ausbeuten und uns zu eigen macht. Diese Gestaltungs- und Zerstörungsmacht hat uns den Weg ins Anthropozän geebnet, das Menschenzeitalter, in dem unser Einfluss den Planeten bestimmt.
Der Klimawandel und alle anderen ökologischen Herausforderungen führen uns vor Augen, dass diese Geschichte an ihr Ende kommt, an ihr Ende kommen muss. Wir müssen eine neue Geschichte finden, die uns auch anders mit der Natur umgehen lässt – nach dieser neuen Geschichte rufen die aktivistischen Bewegungen und die genannten ökologischen Ideengeber. Und kurz gefasst kann man sie als eine Geschichte der Verbundenheit bezeichnen. Wie würden wir leben und handeln, wenn wir uns als zutiefst verbunden mit der Erde, dem Lebendigen, unseren Mitlebewesen erfahren würden? Und aus dieser Erfahrung unsere Wirtschaft, unsere Politik, unser individuelles und soziales Leben (inklusive Konsumverhalten) umgestalten würden?

Umdenken, Umfühlen, Umhandeln

Dieser Wandel von der Trennung zur Verbundenheit betrifft auch zutiefst unsere Beziehung zu Heimat. Denn wie wir Heimat verstehen, hängt auch davon ab, in welcher Geschichte, welchem Narrativ wir leben. Wenn wir heute über Heimat sprechen, klingt darin oft die Bewusstseinshaltung der Trennung durch, und das nicht nur bei rechtslastigen Populisten; Heimat als etwas Trennendes, etwas Ausschließendes: ‚Wenn dies meine Heimat ist, dann kann es nicht deine Heimat sein‘ oder ‚Ich muss meine Heimat gegen andere verteidigen, andere daraus abgrenzen. Meine eigene Heimat bewahren, notfalls mit Grenzziehung und im Extremfall mit Schießbefehl.‘ Trumps Mauer zu Mexiko ist für diese Haltung ein beredtes Beispiel.
Der Klimawandel aber zeigt uns, dass diese Trennungen unsere Heimat nicht mehr werden bewahren können. Überall auf der Welt werden Heimaten davon betroffen sein bzw. sind schon betroffen, da hilft keine Mauer. In gewissem Sinne kommt hier der Klimawandel der Geschichte der Verbundenheit zu Hilfe, oder besser gesagt fordert er solch ein Umdenken, Umfühlen, Umhandeln.
Aus einem Blick der Verbundenheit besteht unsere Erde aus Heimaten, jeder Lebensraum dieses Planeten ist Heimat für Lebewesen, und jedes Land dieser Erde auch Heimat für Menschen. Ein Blick aus der Ganzheit der Verbundenheit sieht also die eigene Heimat, den Ort, den man gerade als Heimat empfindet, in Verbindung zu allen Heimaten dieser Erde. Daraus folgt ein Handeln, das nicht nur die eigene Heimat bewahren will, sondern alle Heimaten auf dem Planeten. Denn es ist ja auch offensichtlich, dass unsere Lebensweise anderswo Heimaten zerstört. Unser Konsum verbraucht Rohstoffe, deren Gewinnung Orte dieser Welt unbewohnbar macht, unser Wirtschaftssystem zerstört regionale Ökonomien und entwurzelt so die Menschen oder mit unseren Waffen werden Kriege geführt, die Heimaten zu Schreckensorten machen. Dass die betroffenen Menschen dann zu uns kommen, um neue Heimat zu suchen, ist nicht verwunderlich.
Solch ein Blick der Verbundenheit öffnet sich hinein in eine integrale Sicht einer Koexistenz, einer Ko-kreation von Heimat. Weil es Heimat im Singular in einer globalisierten Welt nicht mehr geben kann. Wir alle leben in Ko-Heimaten, jede Heimat existiert und entfaltet sich oder verdorrt in Wechselwirkung mit anderen Heimaten.

Matrix der Grenzen

In einem Vortrag zum Thema Allmende erklärte Andreas Weber kürzlich, dass unser Umgang mit der Natur auch auf unsere Besitzverhältnisse und unsere Idee von Besitz zurückzuführen ist, die eng mit der Weltsicht der Trennung zusammenhängen. Ein Thema, das ich kürzlich im Zusammenhang mit unserer Ausgabe zum Thema Geld auch mit einem Künstler diskutierte, der an einem Projekt zu einer »Gesellschaft ohne Eigentum« forscht. Wir denken ja oft gar nicht darüber nach, inwieweit unser Leben von der Idee des Privatbesitzes geprägt ist. Unsere Wirtschaft basiert darauf. Und sicher hat diese Besitzform auch immense wirtschaftliche Kreativität, individuellen Wohlstand und kulturelle Entwicklung hervorgebracht. Aber durch diese Besitzaufteilung ziehen wir eine künstliche, instrumentelle Matrix von Grenzen in eine Natur ein, die diese Grenzen nicht kennt. Wir teilen die uns als Schöpfung gegebene Welt auf, errichten Zäune, Grenzen und Mauern und nennen das, was innerhalb der Grenzen ist, »meins«. Uns gehört ein Stück Land. Und im Geiste der Trennung ist alles, was jenseits der Grenze ist, nicht meins, gehört anderen. Nun muss ich also meinen Besitz pflegen, vermehren und verteidigen. Egal, ob das Innere der Grenzen meine (wenn auch nur gemietete) Wohnung, mein eigenes Grundstück, meine Region, mein Bundesland oder meine Nation ist. In diesem Denken kann dort, wo meine Heimat ist, aber nicht die Heimat eines anderen sein. Und ich trage Verantwortung nur für den Bereich innerhalb meiner Grenzen.
Andreas Weber stellt diesem territorialen Denken der besitzenden Trennung die Perspektive der globalen Allmende entgegen. Dies ist ein altes Wort aus dem bäuerlichen Kontext und bezeichnete Land, das die Bewohner eines Dorfes gemeinsam nutzen konnten, ein Gemeindegut; ein Beispiel für gemeinsame Heimat. Heute werden der Begriff Allmende und Worte wie Commons und Gemeingut benutzt, um Möglichkeiten des gemeinsamen Besitzrechts anzusprechen bzw. darauf hinzuweisen, dass Privatbesitz an Boden ein künstliches Konstrukt ist. Weber begann seinen Vortrag beim Atem. Die Luft, die wir atmen, können wir nicht besitzen. Sie wird uns geschenkt, von der Biosphäre. Wenn wir atmen, nehmen wir Elemente der Natur in uns auf, die im Lebensprozess der Bäume entstehen. Die Bäume nehmen unsere Atemluft in sich auf. Diese innerste Wechselwirkung gilt auch für das, was wir trinken und essen. Selbst für das, was wir denken und fühlen. Und wenn Sie und ich nebeneinandersitzen, atmen wir uns gegenseitig. Wir leben ständig in einer wechselwirkenden Verbundenheit, die Grenzen von ich und dem Anderen nicht in ausschließender Form kennt. Ganz real, in diesem Moment bin ich die ganze Welt, bestehe aus Elementen, die schon an vielen Orten und in vielen Zeiten dieser Erde und dieses Kosmos gelebt haben, bis hin zum fernen Sternenstaub aus dem die Moleküle meines Körpers entstanden.
Jeder Ort, jede Heimat ist also immer durchdrungen von ganz vielen anderen Heimaten dieses Planeten. Eine Geschichte der Verbundenheit wird auch unsere Erfahrung von Heimat in dieses Geflecht und Gewebe mit einbeziehen. Dann sehen wir die Heimat, aus der wir kommen oder in der wir leben, als verknüpft mit der ganzen lebendigen Erde an und wissen, dass diese Heimat nicht erblühen kann, wenn nicht auch alle anderen Heimaten erblühen. Wir sehen, dass wir unsere Heimaten nur schöpferisch miteinander gestalten können, ohne ein Gegeneinander, eine Konkurrenz der Heimatorte. Und dass wir jeden kleinen Ort der Heimat nur dann wirklich pflegen, bewahren und entwickeln können, wenn wir ihn im Kontext der umfassenden Heimat erleben, verstehen und gestalten: der Erde, unserem Heimatplaneten.

Unser gemeinsames Haus

Kürzlich kam ich auf einer Wanderung an einer Kirche vorbei, in der man ein »Fest der Schöpfung« feierte, bei der eine Erdkugel als großer Ball in die Kirche gerollt wurde, während in einem szenischen Gottesdienst verschiedene Akteure der Trennung (so würde ich sie bezeichnen) ihren Besitz- und Machtanspruch auf die Erde formulierten: die Wissenschaft, das Militär, die Wirtschaft, die Politik. Bis dann die Erde selbst zu Wort kam. Vielleicht ist das heute unsere wichtigste Heimataufgabe: Die Erde selbst zu Wort und zu Wirkung kommen lassen. Genau das ist es, was Fridays for Future und Extinction Rebellion motiviert; dass sie dabei manchmal vielleicht übers Ziel hinausschießen oder dogmatisch werden, tut der Bedeutung dieses Anliegens keinen Abbruch.
Beim Herausgehen aus der Kirche lag die Enzyklika des Papstes Franziskus aus dem Jahre 2015, »Laudato si: Die Sorge für das gemeinsame Haus«. Ja, die Erde ist unser gemeinsames Haus, unsere Heimat. In der Enzyklika steht: »Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen, gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben, sie ist weder etwas Fakultatives noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung.« (Vielleicht hätte den Vertretern der CDU/CSU vor den Verhandlungen über das Klimapaket diese Lektüre gutgetan.) In unserem evolve Live Dialogtag in München kamen wir mit Franz-Theo Gottwald mit Hinblick auf die Kultur der Lebendigkeit auf die Frage: Wie gebe ich und wie geben wir gemeinsam dem Lebendigen eine Stimme?
Ein verbundenes Verständnis von Heimat bezieht sich ja nicht nur auf die natürliche Verbundenheit mit dem Leben, sondern hat auch eine soziale Dimension. Wir als Menschen sind die eine Familie, die im Haus dieser Erde lebt. Ein Heimatverständnis aus der Verbundenheit weiß und fühlt, dass wir selbst uns nicht wirklich heimisch fühlen können, solange irgendjemand auf dieser Welt keine Heimat hat. Wir gemeinsam als Weltbürger und Erdenwesen müssen und können die Heimaten dieser Erde bewahren und gestalten, sodass überall Heimat möglich und wirklich wird.

Revolution der Liebe

Natürlich ist das eine Utopie. Sie beginnt mit dem Bewahren unserer Natur aber auch mit dem Bewahren unserer Menschlichkeit in Zeiten der Digitalisierung und Konfrontation. Gleichzeitig sehen wir, dass sich in einem neuen mitschöpferischen Denken, Fühlen, Leben und Handeln ein neues kulturelles Potenzial zeigt, das mehr sein wird, als die Summe seiner Teile. Was ich damit meine ist, dass wir als Menschen ungeahnte schöpferische Kräfte entdecken können, wenn wir nicht so immens viel psychische Energie damit verbrauchen, uns abzugrenzen und unseren Besitz zu schützen. In der kreativen Wechselbegegnung mit dem Lebendigen in all seinen Formen und mit anderen Menschen können wir uns zusammen neu beheimaten und auch das, was Heimat bedeuten kann, in eine neue Offenheit führen.
Wir verstehen, erfahren und entwickeln uns als Menschen neu, wenn wir dem Lebendigen einen unumstößlichen Wert geben. Davon ist der Ethiker Claus Eurich überzeugt, der gerade eine Initiative begonnen hat, die Lebensrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. In diesem umarmenden Blick von Mensch und Lebendigem wird auch Heimat zu etwas, das wir allen Lebewesen zugestehen: Du darfst dich auf dieser Erde beheimaten, so wie ich mich beheimaten kann. Gemeinsam finden wir Heimat in diesem Haus der Erde. Und wir als Menschen tragen Verantwortung für das ganze Haus, nicht nur für ein Stockwerk, einen Raum oder eine Ecke. Das bedeutet aber auch, dass sich diese Sorge um das Ganze immer im ganz Konkreten unserer tatsächlichen, lokalen Lebensbezüge zeigt.
Am Grunde dieser Bewegung der Verbundenheit liegt … vielleicht die Liebe. Charles Eisenstein sprach bei einem Dialogevent in München von der Notwendigkeit einer »Revolution der Liebe«. Ein ökologisches Umdenken werde nicht (nur) aus rationalen Argumenten oder überwältigenden Fakten und sicher nicht aus angstmachenden Vorwürfen oder Schuldzuweisungen kommen, sondern aus dem gespürten, berührten Mitsein – Interbeing – mit der Schöpfung: Eine in uns als Menschheit immer mehr zu entwickelnde Empfindungskraft.
Im Grunde ist diese Kultur der Verbundenheit die Verwirklichung einer schöpferischen Liebe, einer Liebe zum natürlichen Lebendigen, zu den Menschen und ihrem Entwicklungspotenzial – und zu dem Geheimnis, das uns alle übersteigt, uns trägt und zutiefst meint. In dieser Liebe wird alles zur Heimat, sie wird zur Heimat des Lebens, das sich darin selbst erkennt und ihren wahren Kern offenlegt: dass wir als Menschen Ausdruck und Mitgestalter eines lebendigen Kosmos sind. In solch einem Bewusstsein kann jeder Schritt ein Weg in die Heimat sein, die immer nur einen Atemzug weit entfernt ist. Würde uns dann jemand fragen: »Wo gehen wir hin?« könnten wir mit Novalis, dem »Neuland Bestellenden« sagen: »Immer nach Hause.«

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Erschienen in Ausgabe 24 / 2019: OFFENE HEIMAT – Wie kann sie gelingen?

Ein World Wide Web der Liebe?

Utopie und Realität der Noosphäre

Hier auch als Audio, gelesen vom Schauspieler Stephan Schwartz

Mit dem Begriff Noosphäre beschrieb der Paläontologe und christliche Mystiker Teilhard de Chardin seine Vision einer geistigen Sphäre, die uns als Menschen miteinander verbindet. Vielen sehen im Internet die Verwirklichung dieser Idee. Aber die Realität des Internets ist heute vor allem auch ein Ort der Fragmentierung unseres Lebens und unseres sozialen Gefüges. Welchen Sinn hat diese Vorstellung der Noosphäre in solchen Zeiten? Welche Rolle spielt dabei unsere Sprache? Und gibt es Wege, die uns über Trennung und Polarisierung hinausführen können?

„Hätten wir das Wort, hätten wir die Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht.“
Ingeborg Bachmann

»Niemals, so möchten man sagen, haben sich die Menschen herzlicher zurückgestoßen und gehasst als heute, da alles sie einander näherbringt. Ist ein derartiges sittliches Chaos wirklich mit der Idee und der Hoffnung vereinbar, dass wir uns durch die Zusammenpressung unserer Körper und unserer Intelligenzen auf eine Einmütigkeit hinbewegen?« Dieser Satz scheint unsere gegenwärtige Erfahrung in Zeiten von Internet, sozialen Medien und der Gefährdung der Demokratie durch Polarisierung und Populismus, die Risse in die soziale Struktur unserer Gesellschaft reißen, sehr treffend zu beschreiben. Durch das Internet sind wir global verbundener denn je, aber gleichzeitig scheinen darin auch die Kräfte der Trennung einen neuen, kaum kontrollierbaren Wirkraum zu finden.
Der zuvor zitierte Satz stammt jedoch aus dem Jahre 1945 und von dem Jesuitenpater und Paläontologen Teilhard de Chardin und steht in einem Essay über die »Planetisation«. Teilhard sah die Evolution des Kosmos und des Menschen in einer Bewegung zu mehr Komplexität und Konvergenz, mehr Differenzierung und Zusammenführung. Im Laufe dieser Entwicklung werde die Menschheit zu einem globalen geistigen Organismus, bewegt von der evolutionären Grundkraft der Liebe. Diese Verbindung der Menschen wäre für ihn aber keine Herabminderung der Individualität, sondern könnte den Menschen erst ganz den Weg in sein Personsein ebnen. Ein Organ dieser Planetisation war für ihn die Noophäre, eine denkende Sphäre, die sich wie die Geosphäre oder Biosphäre um die ganze Erde zieht und die Menschheit geistig miteinander verbindet.
Diese Idee der Noosphäre wurde von Pionieren des Internets aufgegriffen, um ihrer Vision der Verbundenheit durch dieses neue Medium Ausdruck zu verleihen. Auch der Medientheoretiker Marshall McLuhan griff den Begriff auf und beschrieb diese Sphäre als »kosmische Membran, die sich durch die elektrische Erweiterung unserer verschiedenen Sinne rund um den Globus gelegt hat …, ein technisches Gehirn für die Welt«. Teihard meinte mit der Noosphäre aber mehr als diese technische, bewusstseinsmaschinelle Interpretation. Für ihn ging es dabei um eine Steigerung der psychischen, also geistigen Verbundenheit in Liebe und Freiheit. Die Evolution dieser Sphäre bedeutete für ihn eine Intensivierung des Bewusstseins, in der immer mehr Menschen in eine Einheit hineinfinden und sie zu einem sozialen Lebensraum werden lassen. Und letztendlich war für Teilhard als evolutionären Mystiker die Noosphäre die Verwirklichung der göttlichen Einheit in der »menschlichen Materie« auf Erden.

Kampf in der Noosphäre

Die Vision einer globalen menschlichen Verbundenheit, die zu Beginn des Internets lebendig war, ist heute vielfach ganz unter die Wirkung der Marktlogik und der Technik gefallen, die mit Big Data und Algorithmen manipulative Kräfte freisetzt, die wir kaum beherrschen können. Ein eindrückliches Beispiel ist Facebook. Die Mission Statements, die Mark Zuckerberg veröffentlicht, klingen wie der Absicht entsprungen, die zuvor beschriebene Vision der Planetisation zu verwirklichen. »Den Menschen zu unterstützen, Gemeinschaften zu formen und die Welt näher zusammenzubringen.« Viele der Internet-Pioniere haben solche Visionen der Verbundenheit mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg zusammengeführt und dazu die technischen Möglichkeiten des Internets genutzt und gleichzeitig auch die Sehnsucht der Menschen nach neuen Formen der Verbundenheit als Marktressource erkannt.
Die Dynamik zwischen der Idee der Verbundenheit und der Realität der zunehmenden Ökonomisierung und Fragmentierung wird wohl nur verständlich, wenn wir sie vor dem Hintergrund unseres postmodernen Zeitgeistes sehen. Die Postmoderne hat alle übergreifenden kulturellen, politischen und religiösen Geschichten hinterfragt, die ein Monopol auf die Erklärung der Welt beanspruchten. Diese Befreiung geht mit einem immensen Sinnvakuum einher, in dem eine Vielzahl von Erklärungsmodellen um die Deutungshoheit kämpfen. Gleichzeitig sind das Internet und die sozialen Medien postmoderne Medien in dem Sinne, dass sie einen wertfreien Raum bieten, in dem Menschen ungehindert ihre Sicht der Wirklichkeit veröffentlichen können.
Heute sehen wir, dass diese Freiheit natürlich zu vielen globalen Bewegungen geführt hat, die sich an Gerechtigkeit und kulturellem Fortschritt orientieren wie der Arabische Frühlung, Occupy oder MeToo. Aber in diesen Freiraum sind auch viele andere Akteure getreten, deren Wirkraum das Internet exponenziell erweitert hat: profitorientierte Konzerne, Regierungen, Geheimdienste, politische Splittergruppen, terroristische Vereinigungen, radikale Ideologen etc. etc.
Statt einer Bewegung hin zu mehr »Einmütigkeit« ist wohl eher ein Trend zur Entzweiung zu beobachten, ein neuer Kulturkampf zwischen unterschiedlichsten Gruppen, bei dem es um das höchste Gut des Internetzeitalters geht: unsere Aufmerksamkeit. Dieser Kampf wird von den Krisen genährt, die uns in der Postmoderne heimsuchen, wie es Peter Limberg und Conor Barnes in einem Essay beschreiben. Es ist eine Sinnkrise, weil es kaum zentrale Instanzen gibt, die verbindlich Sinn geben. Eine Wahrheitskrise, weil die Manipulationsmöglichkeiten des Internets die Grundlage einer allgemein akzeptierten Wahrheit durchlöchert haben. Eine Zugehörigkeitskrise, weil das Gefühl von Gemeinschaft abhandenkommt. Eine Krise der Nähe, weil wir heute ungeschützt verschiedensten kontroversen Meinungen ausgesetzt sind. Eine Krise der Besonnenheit, weil große Akteure im Internet ihre Angebote so gestalten, dass sie möglichst stark süchtig machen und somit unsere Autonomie untergraben. Und eine Krise der Kriegsführung, weil unsere manipulierte Aufmerksamkeit zur Waffe in verborgenen Kämpfen wird, die von bestimmten Interessengruppen benutzt wird.
Ob wir es wissen oder nicht, immer wenn wir online sind und posten, liken und kommentieren, treten wir potenziell in einen kulturellen Krieg ein. Macht das nicht die Vision von einer Menschheit, die immer mehr ihre Einheit verwirklicht, zu einer kraftlosen, illusionären Idee? Immerhin fand Teilhard seine Vision der Planetisation nicht in der beschützten Umgebung abgeschiedener Kontemplation, sondern im Schützengraben des Ersten Weltkriegs. Können wir, die wir uns heute in den Schützengräben eines Kulturkampfes befinden, dieser Vision Nahrung und Raum geben? Und was könnten Ansatzpunkte dafür sein?

Demokratische Sprache

Im Kampf der vielen Interessengruppen wird zunehmend unsere Sprache zur Waffe. Deshalb sehen wir im digitalen Raum mit der Verrohnung der Sprache auch zunehmend eine Verrohung unseres Menschseins, in der Empathie, Wahrheit und Solidarität durch trennende Ideologien gefährdet werden, die sich dann »offline« in manipulierten Wahlergebnissen zeigen.
Das Internet hat unser Sprechen verändert und uns in nie dagewesenem Maße eine »entkörperlichte« und »entpersönlichte« Kommunikation ermöglicht. Bei Kommentaren in den sozialen Medien kann man leicht vergessen, dass Kommunikation ein Gegenüber, einen Menschen erreicht. Viele trauen sich Dinge zu sagen, die sie in einem Gespräch mit dem Blick in die Augen des anderen nie sagen würden. Im gewissen Sinne übernehmen wir damit die technische oder instrumentelle Haltung, die nicht den anderen Menschen sieht, sondern jemanden, der meiner Meinung zustimmt oder nicht, der auf meiner Seite ist oder nicht. Bezeichnenderweise kommen viele Kommentare schon von SocialBots. Das sind auf Algorithmen basierende Programme, die menschliche Verhaltensmuster simulieren und auf diese Weise vorgeben, echte User zu sein. Im Netz kann man also oft kaum unterscheiden, ob man mit einem Menschen spricht oder einem Roboter, der für eine bestimmte Meinung programmiert wurde. Dieses instrumentelle Denken liegt der Aufmerksamkeitsökonomie zugrunde, in der Medien durch reißerische Schlagzeilen ihre Klickraten erhöhen wollen. In dieser Sichtweise werden die Nutzer selbst zu »Emotionalrobotern«, die man mit den gut gesetzten Anreizen, die meist auf Angst basieren, anzieht.
Dabei ist Sprache das, was unser Bewusstsein formt und umgekehrt. Wenn Sprache instrumentalisert, ökonomisiert, ideologisiert und gewalttätig wird, dann auch unser Bewusstsein und damit unser Umgang mit dem Leben und der Welt. Robert Habeck, der Bundesvorsitzende der Grünen, weist auf diesen Zusammenhang hin und analysiert in seinem neuen Buch was geschieht, wenn bestimmte Worte wie »Gesinnungsdiktatur«, »Asyltourismus«, »Überfremdung« und »Volksverrat« Teil unseres politischen Wortschatzes werden. Dann werden Empathie, Mitgefühl, Vernunft und Respekt untergraben, die für unser Gemeinwesen essenziell sind. Natürlich kann man die neuen Medien nicht allein für diese Entwicklung verantwortlich machen, aber sie bieten doch Räume, in denen solche Grenzüberschreitungen anonym erprobt werden können. Und die ökonomische und politische Logik im Kampf um die Aufmerksamkeit bringt Medien und Parteien dazu, solche grenzüberschreitenden Worte aufzugreifen, weil sie Klickraten bzw. (vermeintlich) Zustimmungswerte erhöhen.
Interessanterweise könnte aber einer der Gründe für die momentanen Wahlerfolge der Grünen die »Überwindung des spaltenden Sprechens, des Schneidenden, des Krakeelens und des Kanzelpredigens« sein, wie die »TAZ« kürzlich bemerkte. Hier wird ein »reparatives Sprechen« versucht, das sich nicht von anderen Sichtweisen abgrenzt, sondern sie zum Anlass nimmt, mit der eigenen Sicht darauf zu antworten. Habeck will deshalb eine »Poetik des demokratischen Sprechens« beleben, die den konstruktiven Streit gegen eine trennende und entmenschlichende Sprache abgrenzt. Eine offene Sprache, die Raum lässt für den respektvollen Dialog unterschiedlicher Meinungen und die vor allem im anderen immer den Menschen sieht – das Menschsein, das uns trotz aller Unterschiede verbindet. Und, so Habeck, »eine lebendige Sprache ringt immer wieder neu um Verständnis und Verstehen.«

Das Netz zum Leuchten bringen

Eine besonders kraftvolle Form des lebendigen, menschlich verbindenden Sprechens ist für mich die Poesie. Poetische Sprache lebt aus der Verbundenheit und dem Offenlassen des anderen, dem ich begegne, sei es ein Mensch, ein Baum oder ein Ereignis. Wenn ich poetisch spreche, will ich das Angesprochene nicht dinglich fassen und feststellen, sondern das Geheimnis des Lebens, das darin atmet, erspüren und ansprechen. Es ist ein vorsichtiger Umgang mit Worten, der mein Sprechen einer technischen und instrumentellen Verfügbarkeit entzieht. Poetisches Sprechen entspringt letztlich unserer gemeinsamen menschlichen Erfahrung und versucht, sie uns zu vergegenwärtigen. Wenn wir poetische Worte nachempfinden, begeben wir uns in den Sprachraum unserer Verbundenheit mit den Menschen und unserer Welt.
In ihrem Buch »Alles, was leuchtet« schreiben Hubert Dreyfuss und Sean Kelly, die angemessene Reaktion auf die Gefahren des Technischen sei nicht, »die Ablehnung der Technik als solcher, sondern die Akzeptanz des technischen Fortschritts unter der gleichzeitigen Wahrung aller poietischen Sitten und Gebräuche, die sich einer ausschließlich von Technik bestimmten Lebensweise in den Weg stellen.« Mit dieser poietischen Lebenshaltung meinen sie auch »das Gefühl, die Welt kultivieren und die notwendigen Kunstfertigkeiten entwickeln zu können, um sie leuchten zu lassen.« Damit sprechen sie vor allem auch unsere menschlichen schöpferischen Fähigkeiten an, die im Kern des Poetischen wirken. Poesie kann die Welt verwandeln. Kann sie auch die Welt der digitalen Medien verwandeln, gar zum Leuchten bringen? Oder das in ihnen enthaltene Leuchten freilegen und stärken? Aber was ist dieses Leuchten? Hinter der Trennung, dem Hass und der Unwahrheit, zu denen diese Medien heute vielfach genutzt werden, liegt vielleicht immer noch das Leuchten der Verbundenheit.
Teilhard de Chardin nannte drei Merkmale der Planetisation: die Formung eines kollektiven Gedächtnisses, die Entwicklung eines die Erde einhüllenden Nervennetzes, in dem sich unser Denken überträgt und die »Emergenz einer Fähigkeit des gemeinsamen Sehens«, das uns neue Potenziale unseres Seins eröffnet. Bei den News über die Schattenseiten des Internets sollten wir nicht vergessen, in welcher Weise die digitale Sphäre der nonlokale Ort ist, wo sich diese Ausdrucksformen heute schon verwirklichen. Seien es die vielen Projekte des Online-Learnings wie MOOCs (Massive Open Online Courses), die Nutzung der Zoom-Technologie für Online-Kongresse, die gerade Hochkonjunktur haben, Online-Experimente mit Wir-Erfahrungen oder die weltweiten U-Labs. Oder auch die Projekte mit einem subtilen Aktivismus, in dem Menschen gemeinsam ihre Aufmerksamkeit – oft vermittelt über das Internet – auf ein bestimmtes politisches oder soziales Thema richten. Oder Bewegungen wie Occupy und die vielen Portale für Online-Petitionen. Ganz zu schweigen von zahllosen Podcasts und YouTube-Videos. Wir nutzen solche und andere Mittel der Gemeinschaftsbildung so oft, dass sie schon selbstverständlich geworden sind.
Letztlich geht es hier zunächst auch um unsere bewusste Nutzung dieser Medien für eine Kultur der Verbundenheit, in der eine lebendige und manchmal gar poetische Sprache den technischen Raum lebendiger werden lässt und vielleicht gar poetisiert und darin das »Leuchten« sucht. Daneben wird es, wie von Dreyfus und Kelly angesprochen, die Verbindung dieser Online-Begegnungen mit verkörperter Erfahrung sein, die dem Technischen seinen Platz im Menschlichen gibt, und nicht umgekehrt.
Ein aktuelles Beispiel dazu sind vielleicht die Proteste gegen die Rodung im Hambacher Forst. Aktivisten vor Ort, die uns wieder an den Wert und die Würde eines Waldes erinnern, hinter denen online immer mehr Menschen standen, die sich vernetzten, und dann in verkörperten Waldspaziergängen einer letztlich poetischen Vision eines anderen Umgangs mit dem Leben der Natur Ausdruck gaben. Es ging nicht mehr nur um den »Hambi«, sondern um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.

Gemeinsames Sehen

Teilhard sah die Entwicklung der Noosphäre und damit des kollektiven Bewusstseins der Menschheit in einem Prozess der Intensivierung und »Erhitzung«. Die Intensität des Kulturkampfes, den wir gerade erleben, scheint ihm Recht zu geben. Für ihn war eine Folge dieser Erhitzung, dass Grenzen zwischen den Menschen zerschmelzen und wir einander näher kommen, was auch zu Konflikten führen wird. Limberg und Barnes ordnen den Stand unserer Noosphäre mit dem Phasenmodell für Gruppendynamiken des Psychologen Bruce Tuckman ein. Er erklärt, dass Gruppen mit einer Phase der Formierung (Forming) beginnen, gefolgt vom Stürmen (Storming), wonach eine Phase der Normierung (Norming) und schließlich der Ausführung (Performing) wirkt. Sie sehen das Internet und die neuen Medien heute in der Phase des Sturmes, aus der wir den Weg in die Normierung finden müssen. Hierbei wird eine offene, menschliche, dialogische Sprache eine entscheidende Rolle spielen.
Der nächste Schritt in der Evolution der Noosphäre wird von schöpferischen Gestaltern – also uns allen – abhängen, die der Polarisierung den Dialog entgegensetzen, die lernen, Mediatoren zwischen verschiedenen Sichtweisen zu sein, die Räume der poetischen Verbundenheit eröffnen, die online und offline Biotope schaffen, in denen wir das »gemeinsame Sehen« praktizieren, damit neue Lösungshorizonte emergieren können. In solch einer Dynamik könnte sich mehr und mehr das Erwachen der Noosphäre vollziehen, das Teilhard als unsere evolutionäre Möglichkeit und Aufgabe sah. Es war seine poetische Vision eines von Liebe durchdrungenen Kosmos. Denn Teilhard betont, dass die Planetisation nicht nur eine äußere Gegebenheit oder Notwendigkeit ist, weil die Globalisierung sie fordert, sondern vielmehr, dass hierin eine vom »’Geist der Evolution‘ beseelte menschliche Masse« wirkt: Eine »(fast anbetende) Sympathie aller Elemente … für die Bewegung, die sie mitreißt« und »eine (ganz brüderliche) Sympathie jedes Elementes … für das, was sich an Ursprünglichstem und Unmittelbarsten in jedem der Ko-Elemente verbirgt.«

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Erschienen in Ausgabe 20 / 2018: DIE BEWUSSTSEINSMASCHINE – Die neuen Medien und wir

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